Siebenter Bericht der Direktion der bernischen Musikgesellschaft an die Hauptversammlung derselben Dokument

1865

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Literaturhinweise

  • M.R.

Übertragung

[P.6] Die Musikschule hat auch im letzten Jahre in der Abteilung für Klavierspiel so sehr an Ausdehnung zugenommen, dass die Zahl der 29 früheren Klavierklassen aus 37 stieg und in der Person des als Klavierspieler und Lehrer gleich ausgezeichneten Herrn Leopold Brassin eine neue Lehrkraft gewonnen werden musste. So erfreulich dieses Wachsender Klavierschule auf der einen Seite ist, da es von dem stets zunehmenden Vertrauen des Publikums zu der Anstalt zeugt, so sehr muss es doch die Direktion im Interesse der musikalischen Erziehung unserer Jugend, namentlich der männlichen, bedauern, dass sich verhältnissmässig so wenig Knaben dem viel edlern und an Bildungskraft viel reichern Violinspiel zuwenden, und sich noch immer kein Schüler für das Cello gefunden hat. Auch der Unterricht für Sologesang konnte noch nicht wieder erstehen, und für eine angemessene Organisation des theoretischen Unterrichts fand sich nicht die gewünschte Theilnahme. Dagegen freut es uns, die Mittheilung machen zu können, dass sich eine Flötenklasse, vorläufig freilich nur mit einem Schüler, gebildet hat. So lange aber nicht aus Schülern der Anstalt ein Streichquartett gebildet werden kann, solange nicht wenigstens einige Knaben Blasinstrumente lernen, [P.7] fernen ein für die Bildungszweckte der Jugend zum Verständniss der Musikstücke vollständig ausreichender theoretischer Unterricht die nothwendige Theilnahme findet, und eine gehörige Zahl von Schülern und Schülerinnen sich für Unterricht im Sologesange meldet, um, gestützt auf eine solche Garantie, einen tüchtigen Sologesang-Lehrer hierher berufen zu können: So lange halten wir die Organisation der Musikschule für unvollkommen und den Zudrang zum Klavierspiel, besonders bei Knaben, für keine ganz gefunde Richtung. Vertrauen wir in dieser Beziehung der Zukunft und hoffen wir, dass mit der wachsenden bessern Einsicht in die wahren Bedürfnisse einer zweckmässigen musikalischen Erziehung unserer Jugend auch die eben ausgesprochenen Wünsche später noch in Erfüllung gehen werden! Das bringende Bedürfniss eines eigenen Lokals für die Musikschule ist seiner Befriedigung noch nicht näher gerückt. Der Bestand der Schule am Schlusse des Musikjahres ist folgender: I-Klavierschule. 3 Klassen bei Hrn, Prof. Dr. Frank mit 7 Schülerinnen und 1 Schüler. (8) 11 Klassen bei Hrn. Frantzen mit 21 Schülerinnen und 12 Schülern. (33) 11 Klassen bei Hrn. L. Brassin mit 24 Schülerinnen und 9 Schülern. (33) 10 Klassen bei Hrn. Thiele mit 20 Schülerinnen und 9 Schülern. (29) 2 Klassen bei Frau Häfelen mit 6 Schülerinnen. (6) [P.8] Uebertrag: 109. II-Violinschule. 9 Klassen bei Herrn G. Brassin mit 25 Schülern. (25) III-Flötenschule. 1 Klasse bei Hrn. Triemer mit Schüler. (1) IV-Chorgesangschule. 3 Klassen bei Herrn Schulvorsteher Frölich mit 14 zahlenden und 121 Freischülerinnen. (135). Gesammtzahl der Schüler und Schülerinnen in 50 Klassen unter 8 Lehrern. Die öffentliche Prüfung sämmtlicher Klassen, welche am Schlusse des Musikjahres unter sehr zahlreicher Theilnahme des Publikums stattfand, zeigte, dass von allen Lehrern mit grosser Treue und Gewissenhaftigkeit, sowie mit viel Geschick und sehr erfreulichem Erfolge das ganze Jahr hindurch gearbeitet worden ist. Die Leistungen waren im Allgemeinen recht befriedigend. Mit dem neuen Schuljahr tritt die durch Zirkularschreiben den Eltern mitgetheilte Aenderung in’s Leben, dass wir künftig in der Klavierschule nur zwei Kurse statt drei haben, von denen der untere vierteljährlich 25, der obere 36 Fr. Schulgeld zu bezahlen hat. Die Hauptaufgabe der Direktion wird auch für das nächste Jahr eine zweckmässige Organisation der Orchesters sein. Wir haben in dieser Beziehung bereits die einleitenden Schritte gethan, indem der auch in Bern rühmlichst bekannte Herr Kapellmeister Freund den Auftrag erhielt, in Deutschland neunzehn tüchtige fremde Musiker zu engagieren. Wir stehen auch in Unterhandlungen mit dem Verwaltungstrathe des Kurhauses zu Interlaken und hoffen, es werde sich ein Uebereinkommen schliessen lassen, um diesen Theil unseres Orchesters während des Sommers in Interlaken zu verwenden. Auf diese Weise wäre unser seit vielen Jahren angestrebtes Ziel, die Errichtung eines mit Jahres-Kontrakt engagierten stehenden Orchesters, bedeutend näher gerückt, und wir empfehlen dasselbe auch neuerdings allen Musik- und Theater- Freunden unserer Stadt auf’s Angelegentlichste. Bern, den 20. Mai 1865.